«Wir prüfen nicht nur Unternehmen, sondern immer den Gesamtkontext.»
Sina Guffarth ist Expertin für die Analyse von Risiken und Unternehmensanalystin bei der SERV. Im Interview wirft sie mit uns einen Blick hinter die Kulissen anhand eines aussergewöhnlichen Beispiels: Die Analyse und Versicherung der Produktion der aufwendigen Schweizer Serie «Winter Palace», die nach Kalifornien exportiert wurde – an den Käufer Netflix.
«Winter Palace» – das klingt nach einem spannenden Projekt. Wie kam die SERV zu einem Produktionsunternehmen als Kunden?
Die SERV ist in der Schweiz gut vernetzt. Firmenkundenbetreuer bei Banken kennen unser Angebot. Und in diesem Fall – für die Versicherung der audiovisuellen Produktion – ist die Bank aus der Romandie auf uns zugekommen.
Warum wurde die SERV an Bord geholt?
Der Kunde der Bank, unser heutiger Versicherungsnehmer Point Productions SA, hat erstmals mit Netflix zusammengearbeitet und Netflix ist für den Kauf der Serie nicht in Vorleistung gegangen, sondern begleicht den Grossteil des Auftragswerts erst nach erfolgreicher Produktion und Ausstrahlung. Das heisst, einerseits war das Finanzinstitut an einer Fabrikationskreditversicherung interessiert, damit der Kredit zur Finanzierung der Selbstkosten gesichert ist. Andererseits sollte der finanzierte Export bei uns versichert werden. Denn es könnte ja auch sein, dass Netflix nicht zahlt.
Wie sieht der Weg eines Risikos bei der SERV aus?
Relativ einfach: Entweder der Exporteur kommt direkt mit seinem Anliegen auf einen unserer Kundenberater zu oder, das ist der häufigere Fall, der Exporteur geht zunächst zur Bank und diese geht wiederum auf den Kundenberater der SERV zu. Danach tritt der Kundenberater mit dem Exporteur in Kontakt und begleitet mit der Bank und dem Underwriting der SERV den Abschluss der Versicherung. Parallel werden alle relevanten Informationen gesammelt und von uns geprüft.
Ist es wirklich so einfach?
Fast. (lacht) In diesem Fall war tatsächlich der Zeitfaktor die Herausforderung. Sowohl für den Exporteur als auch die Bank war ein aussergewöhnlich schneller Abschluss elementar wichtig, um rundum sicher weiterarbeiten zu können.
Was hat in diesem Fall Ihre Analyse erleichtert?
Die Risikoanalyse steht und fällt mit der Qualität der uns zur Verfügung stehenden Informationen. Der Vorteil bei diesem Projekt war, dass mein Kollege aus der Romandie, Christian Hendriks, der diesen Fall betreut hat, alle relevanten Daten in kürzester Zeit eingefordert und gebündelt an uns übergeben hatte. Zudem war der Exporteur äusserst kooperativ und der Austausch hervorragend. Das erleichtert die Risikoanalyse enorm bzw. ermöglicht sie überhaupt erst. Das hat in diesem Fall eine vollständige Risikoanalyse in drei Arbeitstagen ermöglicht.
Was wird für eine Risikoanalyse geprüft?
Grundsätzlich gibt es drei wesentliche Elemente, die wir im Rahmen einer Risikoanalyse berücksichtigen: das makroökonomische Umfeld, den Sektor und die in die Transaktion involvierten Parteien. Bei Erstgenanntem spielen insbesondere die Inflation, das Zinsumfeld und eventuell relevante Währungsthematiken eine Rolle. Zudem hat jeder Sektor seine Eigenheiten und wir beziehen aktuelle Marktentwicklungen der jeweiligen Branche mit in unsere Analyse ein. Das Herzstück bildet die eigentliche Unternehmensanalyse. Hier prüfen wir die beteiligten Parteien. Dabei stützen wir uns vor allem auf die Finanzabschlüsse der vergangenen drei Jahre, die Liquiditätsplanung und je nach Projekt auf den Businessplan oder das Finanzmodell. Unter Berücksichtigung aller Faktoren kommen wir zu einem Gesamturteil, das sich in einem Rating ausdrücken lässt.
Was war das Besondere an diesem Projekt?
Es ist das erste Mal, dass die SERV in diesem Sektor tätig wird und eine Filmproduktion versichert. Das Spannende daran war, dass wir eine neue Industrie kennengelernt haben. Wir haben auch hier den oben beschriebenen Gesamtkontext der Transaktion betrachtet: das Exportland, die Branche, und die beteiligten Unternehmen. Da wir sowohl einen Fabrikationskredit als auch einen Lieferantenkredit absichern, sind aus Risikoperspektive beide beteiligten Unternehmen relevant. Für Netflix liegen Ratings der führenden Ratingagenturen vor, daher konnten wir hier die Prüfung etwas abkürzen.
Prüft ihr auch den Anteil der Schweizer Wertschöpfung bei einem Exportgeschäft?
Das wird bereits geprüft, bevor die Risikoanalyse involviert wird. Eine Wertschöpfung von mindestens 20 Prozent ist die Voraussetzung für eine Versicherung bei der SERV. In diesem Fall war die Wertschöpfung mit nahezu 100 Prozent sehr hoch – der Drehort war die Schweiz und das Produktionsteam kommt aus der Romandie.
Was ist Ihr Fazit aus Risikoperspektive?
Informationen sind die Grundlage unserer Arbeit. Am besten ist es daher, wenn die SERV bei einem Exportgeschäft schon früh an Bord ist. Dann haben wir auch frühzeitig die Gelegenheit, uns als Risikoanalystinnen und -analysten mit dem Exporteur und unserem Underwriting an einen Tisch zu setzen, um schnell und effizient die beste Lösung zu finden.
Das wenig überraschende Fazit ist daher: Wenn man auf gute Kommunikation und Zusammenarbeit setzt, kommt man gemeinsam am weitesten.
Noch eine abschliessende Frage: Man merkt richtig, dass Sie Ihren Job gerne machen. Warum ist das so?
Merkt man das? (lacht) Es ist einfach unglaublich abwechslungsreich. Wir arbeiten in einem Umfeld, in dem uns täglich die unterschiedlichsten Projekte begegnen – von Start-ups bis zu grossen Projektfinanzierungen – und mit jeder Transaktion lernt man dazu. Wenn man im Job neugierig bleiben darf und sogar muss, und mit jedem Geschäft auch noch dem Exporteur hilft, dann macht das einfach Freude.
